Sonntag, 16. Oktober 2011

Anne für immer

Anne-Green-GabelsHeute möchte ich Euch eine ganze Bücherreihe vorstellen, die mich schon mein Leben lang begleitet. Und zwar die Anne-Bücher von Lucy Maud Montgomery. Ich war elf, als ich sie zum ersten Mal aus der Bücherei ausgeliehen habe, und 13, als ich sie zum Geburtstag geschenkt bekam. Seitdem habe ich sie immer wieder gelesen. Und obwohl ich die Handlung mittlerweile wirklich gut kenne, ist es ein liebes Ritual für mich, die Anne-Bücher von Zeit zu Zeit zu lesen.

Die ursprüngliche Reihe umfasst sechs Bände: Anne auf Green Gables, in Avonlea, in Kingsport, in Windy Willows, in Four Winds und in Ingleside. Manche erinnern sich vielleicht noch an die Zeichentrickserie aus den 90er Jahren (ich glaube, sie hieß "Anne mit den roten Haaren") oder die Spielfilm-Reihe. Die elfjährige Anne ist ein Waisenkind, das im Jahr 1878 von dem alternden Geschwisterpaar Mathew und Marilla Cuthbert nach Avonlea auf Prince Edward Island in Kanada geholt wird. Ursprünglich wollten die Cuthberts einen Jungen adoptieren, der auf der Farm mithelfen soll, und wollen Anne, einem ersten Impuls zufolge, zurückschicken. Doch das Kind mit den roten Haaren gewinnt innerhalb von wenigen Stunden ihre Zuneigung, und wider aller Pläne entschließen sich Mathew und Marilla, Anne zu behalten.

Die folgenden fünf Bände beschreiben ihren Weg durchs Leben. Denn anders als andere junge Frauen will Anne nicht nur Ehefrau und Mutter sein. Sie geht auf's College, gewinnt Stipendien, unterrichtet, wird sogar Rektorin, setzt sich gegen alle Widrigkeiten durch und gewinnt mit ihrer Herzlichkeit auch ihre Feinde für sich. Später heiratet sie ihre Jugendliebe Gilbert Blythe und bekommt mit ihm sieben Kinder. Eines stirbt bereits als Baby, ihr Sohn Walter fällt im Ersten Weltkrieg. Besonders habe ich mich gefreut, als ich vor einigen Jahren bei Amazon zwei Fortsetzungen von Lucy Maud Montgomery entdeckte, die Annes Tochter Rilla (benannt nach Marilla Cuthbert) in den Mittelpunkt stellen: "Anne & Rilla: Zum ersten Mal verliebt" und "Anne & Rilla: Der Weg ins Glück".

Die Anne-Bücher wurden in 36 Sprachen übersetzt. Außerdem sind die Schauplätze, die Montgomery während des Schreibens inspiriert haben, zu regelrechten Touristenattraktionen geworden. Völlig zurecht, wie ich finde, denn Anne hat Generationen von jungen Mädchen auf dem Weg zum Erwachsenwerden begleitet. Ich würde meine Lieblingsbücher ungern als "Backfischromane" bezeichnen, auch wenn sie viele Merkmale davon aufweisen. Aber hach, wie schön ist es, wenn sich mal alles zum Guten wendet. :)

Die Anne-Bücher gibt es ab drei Euro bei Amazon in verschiedenen Ausgaben, als Hörbücher und DVDS. Ein schönes Geschenk für Mädchen ab zehn Jahren, für alle, die Anne heißen und natürlich jeden anderen, der gerne liest.

Sonntag, 14. August 2011

Die Feuerfrau nervt

FeuerfrauNach längerer Zeit schreibe ich heute mal wieder eine Buchbesprechung. Als ich im vergangenen Monat umgezogen bin und deshalb meinen Keller ausgeräumt habe, habe ich meine ehemals heißgeliebte Hardcover-Ausgabe von Federica de Cescos "Feuerfrau" gefunden. Meine Mutter, die an diesem Nachmittag dabei war, und ich waren uns sofort einig: "Ein tolles Buch!" Zumindest glaubten wir, das so in Erinnerung zu haben. Beide hatten wir den Wälzer vor mehr als zehn Jahren verschlungen.

Nachdem der Umzug vorbei war, kuschelte ich mich mit der "Feuerfrau" auf die neue Couch im neuen Wohnzimmer und wollte die frühere Leidenschaft wieder aufleben lassen. Doch offensichtlich ändert sich der literarische Geschmack im Lauf des Lebens ganz gewaltig! Diesmal war die Lektüre nahezu eine Qual. Adriana, die heißblütige italienische Protagonistin, ist durch eine langjährige Liebesaffäre fest verbunden mit dem französischen Reiter Amadeo. Doch die beiden haben vor langer Zeit beschlossen, nicht gemeinsam leben zu können, denn er reist mit seinem Zirkus durch die Lande, während sie als Vulkanforscherin tätig ist. Deshalb geht Adriana immer wieder Beziehungen mit stumpfsinnigen Kollegen ein. Dass sie diese regelmäßig mit Amadeo betrügt, wird als revolutionär, sadistisch und grausam beschrieben, aber auch absolut notwendig. Erst, als sie den Mexikaner Manuel trifft, gerät ihr Beziehungsmodell aus den festen Fugen...

Die "Feuerfrau" wirkte auf mich diesmal wie einer dieser kitschigen Seeräuber-Liebesromane. De Cesco verärgert aber, indem sie bei all den billigen Liebesschwüren und der heißen Haut so tut, als schreibe sie seriöse Literatur. Und Adriana, die hinreißende, wunderschöne, begabte Vulkanforscherin, die auf glühenden Kohlen geht und von jedermann begehrt wird bis zur Raserei, nervt in ihrer Perfektion. Vielleicht wird mir die "Feuerfrau" als lüsterne alte Seniorin wieder gefallen. Bis dahin bleibt der Schundstoff im Regal.

Für alle, die sich ein eigenes Bild machen wollen: "Feuerfrau" von Federica de Cesco ist 1995 erschienen, bei verschiedenen Verlagen und in mehreren Auflagen. Gebraucht bei Amazon für wenige Cent erhältlich oder bei mir auszuleihen. :)

Sonntag, 26. Juni 2011

Das fünfte Kind ist eins zuviel

KindGestern und heute habe ich Doris Lessings "Das fünfte Kind" verschlungen. Ein dünnes Büchlein mit schwerem Inhalt, das dem Leser den Einstieg leicht macht. Im Mittelpunkt stehen Harriet und David, die beide von einer großen Familie träumen und deshalb rasch hintereinander vier Kinder bekommen. Die Familie ist sehr glücklich mit ihrem Leben, auch wenn es oft turbulent und das große Haus immer voll ist. Doch dann wird Harriet zum fünften Mal schwanger, und diesmal ist alles anders. Schon im Mutterleib scheint Ben Harriet zu bekämpfen, und als er schließlich auf die Welt kommt, muss die Familie sich in einem schmerzhaften Prozess eingestehen, dass Ben nicht ist wie die anderen Kinder... Er ist aggressiv und bösartig, tötet Haustiere, seine Geschwister und die eigenen Eltern fürchten sich vor ihm. Er kann kaum sprechen, frisst rohes Fleisch und bleibt stets nur der Nachahmer normaler menschlicher Gefühle. Ben selbst hingegen scheint kein Mensch zu sein.

Was genau er stattdessen ist, bleibt im Dunkeln. Ist Ben behindert? Vielleicht ein genetischer Rückfall, eine Art Höhlenmensch früherer Evolutionsstufen? Dass Lessing sich nicht festlegt, macht sie glaubhaft. Statt Bens Andersartigkeit zu definieren, lässt sie zu, dass sich eine große Befremdung auf den Seiten breitmacht - mit Erfolg: Ich habe während der Lektüre nachts davon geträumt, dass ein bösartiges Baby durch mein gekipptes Fenster krabbeln und mich erwürgen würde.

Ich empfehle "Das fünfte Kind" von Doris Lessing (btb-Verlag, Erstauflage 1988) und werde morgen die Fortsetzung "Ben in der Welt" lesen. Neu für 8,50 Euro, gebraucht bei Amazon für unter einen Euro.

Freitag, 3. Juni 2011

Die Geliebte des Gevatters

TotenwaescherinGerade habe ich "Die Totenwäscherin" von Helga Hegewisch ausgelesen. Ein breit angelegter historischer Roman, der fünf Generationen von Frauen bei ihrer Arbeit als Totenkleidnerin und Bestatterin begleitet. Obwohl der Titel den Anschein erweckt, als spiele der Beruf der Totenwäscherin eine übergeordnete Rolle, handelt das Buch selbst eigentlich mehr von der Suche dieser fünf Frauen nach Liebe, Glück und Erfüllung.

Kern der Geschichte ist die Liebesgeschichte zwischen dem Mädchen Barbara, Tochter der ersten Totenkleidnerin Magdalena, und Friedrich-Karl, dem Enkel des sterbenden Grafen. Barbara und Friedrich-Karl verlieben sich, als sie sich zum ersten Mal sehen. Doch weil Barbaras Mutter die frühe Liebe ihrer jungen Tochter verhindern will, schickt sie sie in die Fremde. Jahre später finden Barbara und Friedrich-Karl doch zueinander. Doch er ist mittlerweile in Schottland verheiratet. Als Barbara schwanger wird, trennt sie sich von ihm, ohne zu wissen, dass eben jenes kurze, erneute Aufflammen ihrer Liebe viele künftige Generationen ins Unglück stürzen würde. Jahre später ist es ausgerechnet ihr Sohn Anton, der sich in die Schottin Emily verliebt - ohne zu ahnen, dass diese seine Halbschwester ist.

Gut gefallen hat mir, dass Helga Hegewischs Frauenfiguren stets selbständig und unabhängig sind. Als Totenwäscherinnen sorgen sie für den eigenen Lebensunterhalt und benötigen keine Hilfe und vor allem keinen Mann, um ihre Kinder aufzuziehen. Verwirrend ist die breite Erzählzeit von 1810 bis 1990. Manche der Stränge sind, wenn man Hegewischs Konzept erst einmal durchschaut hat, leicht zu erraten; wirkliche Überraschungen birgt die Erzählung eigentlich nicht, dafür ist sie zu wenig raffiniert und hat auch nicht den Anspruch. Das Ende musste ich zweimal lesen, weil im letzten Absatz plötzlich unbekannte Namen auftauchen, zu denen die letzte Nachfahrin Anna Barbara durch familiäre Bande dennoch ein liebevolles Verhältnis spürt.

Alles in allem war "Die Totenwäscherin" keine Zeitverschwendung, sondern eine sehr unterhaltsame Lektüre, mit der man sich wohlfühlt. Das Buch ist 2001 erschienen bei List, hat 398 Seiten und kostet neu 9,95 Euro. Gebraucht ab 1,40 Euro bei Amazon.

Samstag, 28. Mai 2011

Das gesprengte Mieder

MiederHeute morgen habe ich Susanna Kubelkas Buch "Das gesprengte Mieder" zuende gelesen. Es ist, soweit ich das überblicke, ihr bisher einziger Roman mit historischem Bezug und unterscheidet sich von dem, was sie ansonsten bisher vorgelegt hat.

Minka, die Heldin des Buches, ist keine Frau in den besten Jahren, sondern, zumindest in der Binnenhandlung, die die eigentliche Erzählung bildet, ein 15-jähriges Mädchen, das mit Gouvernante im ausgehenden 19. Jahrhundert in die belebte Garnisonsstadt Enns in Österreich kommt. Die Handlung besteht aus mehreren Strängen, die parallel erzählt werden. Einmal ist da Minkas eigene Familiengeschichte, die zahlreiche Fragen aufwirft. Warum verweigert ihr Vater ihr die ihr zustehende Mitgift, obwohl die Familie wohlhabend ist? Warum wird ihr Bruder weitaus weniger hochrangig erzogen als sie selbst? Und wer ist der nette Graf Sandor, der ihr nach einem Klavierspiel eine Goldmünze schenkt?
Gleichzeitig entspannt sich auch eine Liebesgeschichte zwischen Minka und dem jungen Offizier Gabor, die zu einer heimlichen Verlobung führt - und sogar zu einem Besuch im Bordell, der für ein Mädchen aus "besseren Kreisen" gerade in der damaligen Zeit ein unvorstellbarer Skandal war.

Minka ist eine Figur ihrer Zeit und als solche zunächst auch ein Produkt der vorherrschenden Moral. Sie wird in ein Mieder geschnürt, droht zu ersticken und lehnt sich dennoch nicht dagegen auf. Bis sie eines Tages auf 42 Zentimeter Taillenumfang geschnürt wird - und das Mieder sprengt. Von da an beschließt sie, nie wieder ein solches zu tragen, und geht somit als leuchtendes Vorbild ihrer Zeit voraus, indem sie sogenannte "Brusttaschen" erfindet, die später als BH bekannt werden. Doch Minka lehnt nicht nur das Mieder ab, sondern auch den Heiratsantrag eines wesentlich älteren Mannes, obwohl ihr Umfeld auf sie einredet, die Vorteile der Verbindung zu nutzen.

Kubelkas erster Versuch eines historischen Romans ist gut gelungen und auch detaillgetreu recheriert. Immer wieder streut sie Einzelheiten ein, die das Buch zu einem glaubhaftigen Abbild der damaligen Zeit machen. Mutig ist auch, dass sie sich damit etwas von dem ihr eigenen Stil entfernt, denn es gibt Leser, die so eine Exkursion übel nehmen.

"Das gesprengte Mieder" von Susanna Kubelka hat 383 Seiten und ist 2002 bei Bastei Lübbe erschienen. Neu bei Amazon ab 3,99 Euro, gebraucht für 1 Cent.

Montag, 23. Mai 2011

Gewohnte Wohlfühl-Literatur

fruehlingJa, ich gestehe es. Nachdem ich "Ophelia lernt schwimmen" und "Madame kommt heute später" gelesen habe und Susanna Kubelkas Schreibstil mag, bin ich nun dabei, ihr gesamtes bisheriges literarisches Schaffen zu lesen. Vor zwei Tagen habe ich "Der zweite Frühling der Mimi Tulipan" beendet, und was soll ich sagen: Bei Kubelka weiß man, was man bekommt.

Um nicht unkritisch zu sein: Ja, die Bücher gleichen einander wie ein Haar dem anderen. Immer steht eine tolle, kreative Frau im Mittelpunkt, die durch ihre vegetarische Ernährung und ihr positives Lebensgefühl deutlich jünger wirkt als die 40, 50 oder 60 Jahre, die sie tatsächlich alt ist. Immer zieht sie die Männer an. Und immer gerät sie an merkwürdige Kerle, die sie aber trotz ihrer zahlreichen Marotten lange geduldig erträgt. Im Fall von Mimi Tulipan ist das Marlon Macdonnald, ein Psychoanalytiker, der in seiner Freizeit am liebsten in Damenwäsche herumstolziert und ziemlich hysterisch wirkt. Marlon bietet Mimi 1 Millionen Pfund, wenn sie ihn heiratet und zehn Jahre mit ihm zusammen bleibt. Mimi zieht den Deal in Betracht, doch je länger sie mit Marlon zusammen ist, desto unsympathischer und merkwürdiger wird er. Kubelka versteht es, Männer in den düstersten, egoistischsten Farben zu malen. Dabei vergisst sie manchmal, dass sie dem Leser gegenüber auch rechtfertigen muss, warum Mimi (oder Tizia, oder Ophelia) sich das alles eigentlich gefallen lässt, wenn sie tatsächlich so überirdisch schön und selbstbewusst ist. Immerhin, es gelingt ihr, zu zeigen, dass das Liebesleben den gesamten Rest nicht unbedingt negativ beeinflussen muss. Am Ende lässt die Autorin so auch immer noch einen Mann auftauchen, der die Protagonistin mit der Männerwelt versöhnt und ihr dauerhaftes Glück bringt. Ja, Susanna Kubelka schreibt Trivialliteratur. Aber was soll's; ich mag ihre Bücher, denn beim Lesen fühlt man sich stark und außergewöhnlich, eben so, wie ihre Figuren es sind. :)

"Der zweite Frühling der Mimi Tulipan" hat 347 Seiten und ist bei Bastei Lübbe erschienen. Neu bei Amazon ab drei Euro, gebraucht ab rund einem Euro.

Mittwoch, 18. Mai 2011

Eine Frau ohne Mann...

Fisch-ohne-Fahrrad...ist wie ein Fisch ohne Fahrrad. Das ist die Aussage von Elizabeth Dunkels Roman "Fisch ohne Fahrrad". Wie weit es das Buch, das 1988 auf der Höhe der Frauenbewegung veröffentlicht wurde, seit seinem Erscheinen gebracht hat, beweisen die zahlreichen Mottopartys. Noch heute suchen Singles unter dem Motto "Fisch sucht Fahrrad" einen passenden Partner. Vielleicht nicht immer mit Erfolg, dafür aber mit jeder Menge Spaß. :)

Wobei, lustig ist das Buch nur phasenweise. Im Mittelpunkt steht Katja Odinokov, Anfang 30, Werbetexterin und verzweifelter Single in New York. Weil sie mit der stetigen Einsamkeit nicht zurecht kommt, beginnt sie eine Psychoanalyse und verliebt sich prompt in den smarten Analytiker Dr. Frank Manne. Der jedoch ist vergeben und nimmt Katja - was sich später natürlich rächt - überhaupt nicht ernst. In Ermangelung anderer Vorschläge versucht Katja es mit dem russischen Immigrantenschriftsteller Boris. Obwohl er sie kühl und schroff behandelt, steigert sie sich in diese unerwiderte Liebe hinein und besucht ihn später sogar zweimal in Paris. Als Frank Manne begreift, dass Katja doch die Richtige für ihn sein könnte, ist es bereits zu spät. Manne verliert zwei Frauen an Boris. Ein Happy End gibt es nicht.

Früher galt der "Fisch ohne Fahrrad" als ziemlich pornografisch, doch für die heutige Zeit ist es eher zurückhaltend. So ändern sich die Zeiten. Beim Lesen habe ich mich immer wieder gefragt, warum ausgerechnet dieses Buch einen solchen Kultstatus erreicht hat. Wirklich flippig oder frech ist es nicht, zumindest heutzutage nicht mehr. Und eine wirkliche Message lässt sich auch nicht dahinter erkennen. Ja, es gehört dennoch in jede Büchersammlung. Und Zeitverschwendung ist es auch keine.

"Der Fisch ohne Fahrrad" von Elizabeth Dunkel ist 1988 bei Droemer Knaur erschienen, hat 400 Seiten und ist gebraucht bei Amazon für wenige Cent erhältlich.

Upcoming in der langen Reihe der Emanzenliteratur der 80er Jahre: Susanna Kubelkas "Der zweite Frühling der Madame Tulipan".

Sonntag, 1. Mai 2011

Die Bienenhüterin

BienenGestern habe ich den Roman "Die Bienenhüterin" von Sue Monk Kidd zuende gelesen. Im Mittelpunkt steht die 14-jährige Lily Owens, die seit dem Tod ihrer Mutter alleine mit ihrem sadistischen Vater auf einer Pfirsichplantage lebt. Lily trägt ein schreckliches Geheimnis mit sich herum: Sie hat damals ihre Mutter erschossen. In verschiedenen Tiefen erzählt Sue Monk Kidd, wie Lily unter ihrer Vergangenheit leidet und zugleich die Liebe ihrer Mutter infrage stellt.

Angesiedelt ist die Geschichte im von Rassenhass geprägten Amerika der späten 50er Jahre. Während Lilys Flucht vor ihrem Vater und ihre Suche nach der Wahrheit im Mittelpunkt stehen, haben alle anderen Figuren klar die Aufgabe, dem Leser den Rassenkonflikt vor Augen zu führen. Da gibt es Rosaleen, Angestellte im Haushalt von Lilys Vater, die sich ins Wählerverzeichnis eintragen möchte und im Gefängnis landet, wo der Wärter nicht einschreitet, als sie halb zu Tode geprügelt wird. Da sind die Schwester Augusta, June und May, die Lily auf ihrer Honigfarm ein neues Zuhause geben und die sich nicht nur als dunkelhäutige Amerikanerinnen, sondern auch als alleinstehende Geschäfsfrauen behaupten müssen. Und da ist Zach, der Hilfsarbeiter auf Augustas Honigfarm, in den Lily sich verliebt, mit dem sie aber aufgrund der unterschiedlichen Hautfarben (noch) nicht zusammen sein kann. Und über alldem wacht die schwarze Madonna, "Unsere Liebe Frau der Ketten", die für die Bienenhüterinnen mehr als nur das Maskottchen ihrer Marke ist.

Es gelingt Sue Monk Kidd, Lily auf eine mehrgliedrige Reise zu schicken und dabei die Entwicklung ihrer Hauptfigur zu zeigen. Lily bewegt sich vordergründig von der Plantage ihres Vaters zur Honigfarm der drei Schwestern. Gleichzeitig reist sie in die Vergangenheit, begegnet der Zukunft und wechselt die Perspektiven: als weißes Mädchen hat sie die "Nigger-Problematik" (Sue Monk Kidd verwendet das verstörende Wort "Nigger" wohldosiert und auf kritische Weise) ausschließlich distanziert erlebt und nie auf sich selbst bezogen. Im Haushalt der dunkelhäutigen Schwestern fühlt sie sich plötzlich fremd, angestarrt, außen vor. Berührend ist die Freude, die sie empfindet, als sie nach einigen Wochen ihre Zugehörigkeit erkennt: Plötzlich reden die Schwestern in ihrem Beisein über "die Weißen" und vergessen, dass Lily selbst eine solche ist.

"Die Bienenhüterin" ist ein gefühlsbetontes Buch über Rassenkampf, Familienkämpfe, Mutterliebe und die eigenen Grenzen. Es ist 2005 bei btb erschienen, hat 352 Seiten und kostet neu neun Euro (gebraucht bei Amazon ab 85 Cent erhältlich).

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